Post by Hermann JurkschEs ist halt die Frage, ob der Originalautor möchte, daß jemand an
1 Mio Zeilen seines Codes noch 10000 Zeilen GUI-Rahmenwerk dranhängt
und das Gesamtwerk dann als CS sogar ohne Nennung des Hauptautors
veröffentlicht, die dieser dann selbst dann zum vollen Preis bezahlen
muß, wenn er in den Genuß der GUI kommen möchte.
Das wäre zugegebenermaßen eine Sauerei, und wie gesagt, wer so das
verhindern will, der hat meinen vollen Segen, wenn er die GPL verwendet.
Aber es soll tatsächlich auch Leute geben, denen das nichts ausmacht (und
die auch lieber ihr eigenes 10000-Zeilen-GUI stricken und dieses dann
ebenfalls frei veröffentlichen).
Post by Hermann JurkschGanz besonders lustig -
aber auch da müßte ein Jurist Stellung beziehen - würde es, wenn bei
Produkthaftungen dann plötzlich der Originalautor in die Schußlinie
käme.
Hmm, sinnvoll wäre hier eine Regelung, dass durch den Claim der
Urheberschaft auch automatisch jegliche Haftung übernommen wird.
Insbesondere, wenn Warnungen des Originalautors auf mögliche Bugs vom
Codeklauer entfernt werden.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesWas aber vermutlich daran liegt, dass ich meist nach genau solchen eher
einfachen numerischen Tools und weniger nach großen Softwarepaketen suche
Rentiert sich das? Für mich sind Sachen in der Größenordnung Guile,
Elk, OCS interessant. Bei wesentlich kleineren Geschichten ist die
Suche, die Qualitätskontrolle und die Anpassung an eigene Schnitt-
stellenbedürfnisse zu aufwendig, um fremden Code verwenden zu wollen.
Also, ich programmiere überwiegend im wissenschaftlichen Bereich, und da
geht es vor allem um Simulationen physikalischer Zusammenhänge und deren
Analyse. Für grafische Oberflächen etc. nehme ich zwar wenn möglich auch
Open Source, aber meist nur das Binary. Mir fehlt einfach die Zeit, den
Sourcode jedes Tools verstehen zu wollen, geschweige denn, ihn zu
modifizieren.
Post by Hermann JurkschUrsprünglich sollte es für Urheber Anreize bieten. Und genau dazu
sollte man zurückfinden. (Im übrigen ist es ärgerlich, daß qualitativ
hochwertige Produktion sich weit weniger lohnt als minderwertige
für den Massenmarkt, aber das wird man wohl nicht ändern können.)
Das liegt wohl auch daran, dass der Preis hochgradig überproportional zur
Qualität steigt. Und das bei weitem nicht nur im Content-Bereich. Schon
ein Fernglas, das geringfügig höhere Bildqualität als ein Massenprodukt
der gleichen Leistungsklasse (sprich Objektivdurchmesser und
Vergrößerung) zeigt, kostet oft ein Vielfaches und wird daher nur von
wenigen gekauft. Das wird im Softwarebereich nicht anders sein.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesWas wir streng genommen bräuchten, wäre ein Gesetz, das gerade solche
künstliche Verknappung von natürlicherweise nicht knappen (weil beliebig
replizierbaren) Ressourcen verbietet. Am besten als Teil des
Grundgesetzes.
Es würde schon reichen, Auswüchse wie DRM zu verbieten.
Ein DRM-Verbot und eine garantiertes einklagbares Recht auf eine
Privatkopie (auch im Softwarebereich!) wäre natürlich ein erster
notwendiger Schritt. Aber IMO eben nur der erste von vielen.
Post by Hermann JurkschNein, Intention ist, daß der Urheber Nutzungsbedingungen festlegen
kann, und genau das macht die GPL.
Aber der Gedanke, der zur Schaffung eines Urheberrechts führte, war
sicher nicht der, dass der Urheber die Möglichkeit haben sollte, allen
die Möglichkeit der freien Nutzung, Bearbeitung und Verbreitung per
Lizenz zu *gewähren*, sondern im Gegenteil, dass der Urheber ein Mittel
haben sollte, anderen Freiheiten zu *nehmen*. Also dass der Urheber das
Recht haben sollte, anderen das Kopieren zu verbieten und als einzige
Bezugsquelle den Kauf einer autorisierten Kopie oder einer Lizenz
(Stichwort künstliche Verknappung) zu gestatten. Copyleft dagegen dreht
diese ursprüngliche Intention um, indem es genau das tut, was die Väter
des Urheberrechtsprinzips wohl nie im Sinn hatten: Anderen diese
Freiheiten zu garantieren und als einzige Bedingungen die Gewährung
derselben Freiheiten durch die Autoren abgeleiteter Werke zu verlangen.
Oder um es platt zu formulieren: Der "Geist" des Urheberrechts ist der
Kapitalismus, aber die GPL verwendet es für "Kommunismus".
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesS.o. der (Un-)Geist des UrhG ist ja, dem Urheber das Recht auf
*einschränkende* Bedingungen zu stellen. Auch wenns nicht so direkt im
Gesetzestext drin steht, ist die GPL doch eher eine Zweckentfremdung des
Urheberrechtes.
Nein, keinesfalls.
Ok, das bleibt dann eine Frage der Interpretation. Ich bin weiterhin der
Meinung, dass die Gewährung garantierter Freiheiten für die Nutzer durch
den Urheber nie die Intention der Väter des Urheberrechtsgedankens war,
sondern vielmehr dem Urheber ein Instrument zur künstlichen Verknappung
in die Hand zu geben. So wie es auch nicht der Sinn und Zweck des
Patentrechts ist, dem Patentinhaber die Möglichkeit zu geben, allen
Nutzern die kostenlose Nutzung des Patents zu ermöglichen. Oder wie es
auch nicht der Sinn einer Guillotine ist, damit Kürbisse zu halbieren.
Copyleft macht aber genau das: Das Urheberrecht (Guillotine) nicht gemäß
der Intention seiner Schöpfer zur künstlichen Verknappung (Enthauptung
von Menschen), sondern zur Garantie der Freiheit der Software (Kürbisse
halbieren) zu nutzen.q
Natürlich kann keiner von uns mit Sicherheit *wissen*, was die
Urheberrechtsväter damals wirklich gedacht hatten. Aber zumindest halte
ich eine "copyleft"-Intention bei ihnen für extrem unwahrscheinlich.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesEs wäre aber vermeidbar, wenn man von vornherein Wikipedia als
urheberrechtsfreien Raum bezüglich WP-interner Verwertung definiert
hätte. Dann wäre jeglichem Rechtsstreit unter Wikipedianern der Boden
entzogen.
Das geht nicht; keiner gibt eine Klagemöglichkeit z.B. gegen
Verfälschungen aus der Hand.
Das käme auf den Versuch an. Wie ich an anderer Stelle im Thread bereits
schrieb, ist die Urheberschaft innerhalb von Wikipedia eher von
untergeordneter Bedeutung, da der externe Leser eh kaum einen kennen
dürfte (während im Bereich Literatur fast jeder wissen dürfte, wer
Henning Mankell oder Frank Schätzung ist). Viel wichtiger als die Nennung
der WP-Autoren ist die korrekte Angabe externer Quellen (von denen das
Wissen fast ausnahmslos stammt) durch die Wikipedia-Autoren.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesWas die "Flurschäden" bei einer Lichtung des Gesetzesdschungels angeht,
so sehe ich die als akzeptable Kollateralschäden an. Am besten sollte
sowas einfach von oben herab beschlossen werden, ohne große Diskussion,
die am Ende nur wieder alles zerredet ;-)
Auch das willst Du nicht wirklich, denn die großen Lobbyisten reden
immer mit.
Deshalb brauchen wir auch klare Regelungen, um Lobbyisten unschädlich zu
machen.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesSaubere wissenschaftliche Arbeit zu gewährleisten ist aber kein
Gegenstand für das Lizenzrecht. Außerdem sind Angaben äußerer Quellen
(also wo nahm der Wikipedianer sein Wissen her) ungleich wichtiger als
korrekte Zitate innerhalb von WP. Denn in den allermeisten Fällen stammt
das Wissen nicht von Wikipedianern selbst (es gibt natürlich Ausnahmen,
etwa wenn jemand für WP eine numerische Simulation oder ein Experiment
aufsetzt), sondern wurde von verschiedenen äußeren Quellen
zusammengetragen. Die müssen natürlich sauber angegeben werden. Aber
auch das ist kein Gegenstand fürs Lizenzrecht.
Was meinst Du, was ohne Urheberrecht in dem Bereich für ein Hauen
und Stechen losginge.
In Wikipedia? Ich glaube nicht, dass es da ein großartiges Hauen und
Stechen geben würde. Eben weil jeder Wikipedianer weiß (oder zumindest
wissen sollte), dass in der Praxis sich kein Schwein für seine
Urheberschaft interessiert. Ob nun ein Edit von einem "Aleksandar", einem
"Einsamer Schütze" oder einer "Catrin" erstellt wurde, ist für den
gemeinen Leser (falls dieser die Versionsgeschichte überhaupt entdeckt)
doch wirklich Salat wie Gurke. Wer Texte für Wikipedia verfasst, der wird
kaum wirklich Credit ernten, es ist im wahrsten Sinne brotlose Kunst, die
allein aus Überzeugung an der Sache und dem menschlichen, Wissen
weiterzuerzählen, begangen wird.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesDenn schließlich ist es nicht illegal, zu behaupten, dass z.B. Braune
Zwerge möglicherweise ausgestoßene Stern-Embryos sind. Sauberer ist es
aber, auf die diesbezügliche Arbeit von Reipurth & Clarke (2001,
genauere Angaben im WP-Artikel "Brauner Zwerg") zu verweisen, woher
diese These höchstwahrscheinlich stammt. Aber R&C haben keinen
urheberrechtlichen Anspruch auf diese Theorie (die zum Glück auch nicht
patentierbar sein dürfte).
Es ist aber gottseidank illegal, z.B. nationalsprachliche Zeitschriften
niedrigen Reputation auf interessante Publikationen zu durchsuchen und
diese dann in englischer Übersetzung in besser plazierten Journals
unter eigenem Namen unterzubringen ...
Das wäre aber auch ohne Urheberrecht grob unwissenschaftlich und würde,
sobald es herauskommt, zum abrupten Ende einer Karriere führen.
Vermutlich noch weit abrupter als bei einer klassischen Fälschung von
Ergebnissen, die hat zumindestens manchmal Stil ;-)
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesKurz: Nicht lizensrechtliche Aspekte mit sauberer wissenschaftlicher
Arbeit vermengen.
Der Autor ist darauf angewiesen, Publikationen vorweisen zu können.
Ohne Urheberrecht würden es für viele noch schwieriger werden.
Aber den ganzen Verwertungsrechtekomplex bräuchte es dazu nicht. Das so
genannte Urheberpersönlichkeitsrecht (das Recht auf Anerkennung der
Urheberschaft usw.) reicht da völlig aus. Im Gegenteil wären die meisten
Wissenschaftler sogar froh, wenn ihre Papers frei kopiert werden könnten,
denn dann könnte jeder sie lesen. Für mich ist es z.B. immer ein großes
Ärgernis, wenn ich an ein Paper nicht rankomme, weil die Uni die
Zeitschrift nicht abonniert hat. Zum Glück findet man viele Papers
inzwischen auch auf arXiv :-)
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesDas verstehe ich jetzt nicht ganz. Was hat Haftungsrecht (auch so ein
juristisches Ungetüm, das m.E. im westlichen Recht viel zu sehr
aufgebläht wird) damit zu tun? Haftung für Fehlerhafte Bauanleitungen
für den privaten Kernreaktor? ;-)
Auch Programmfehler können eine Haftung begründen (auch wenn es so
scheint, als seien einige Hersteller davon ausgenommen).
Hier sehe ich zum Beispiel eine Überstrapazierung des Haftungsprinzips.
Es ist zwar OK, wenn ein kommerzieller Softwarehersteller dafür haftet,
wenn sein Produkt entgegen des guten Glaubens des Benutzers plötzlich das
Filesystem versaut, weil der Hersteller böswillig Schrott als
Quualitätsware verkauft(!).
Und ebenso soll selbstverständlich der Urheber von *vorsätzlich* in
Umlauf gebrachtem Schadcode haften. Aber bei Software, die von
freiwilligen und mit dem expliziten Hinweis, dass es sich um
"Frickelware" handelt, als Open Source in Umlauf gebracht wird, soll
nicht für Schäden haften, die durch unbeabsichtigte und auch bei noch so
großer Sorgfalt nie ganz auszuschließende Fehler entstehen. Sonst wäre
das Risiko für niemanden mehr tragbar, vor allem nicht für private OS-
Entwickler.
Überhaupt finde ich, dass in unserer Gesellschaft viel zu viel von
Haftung und viel zu wenig von allgemeinem Lebensrisiko und
Eigenverantwortung gesprochen wird. In einer Gesellschaft, wo
Zigarettenhersteller für den Krebs von Rauchern, oder Meteorologen für
unzutreffende Wettervorhersagen verklagt werden können, kann irgendwo was
nicht stimmen.
Post by Hermann JurkschPost by Ingo ThiesMit dieser Gefahr müsste ich leben. Lies mal verschiedene Bibel- oder
Koranübersetzungen, das Problem ist wirklich nicht neu und m.E.
lizenzrechtlich nicht lösbar.
Natürlich ist das urheberrechtlich lösbar.
Nicht wirklich. Zumal das Urheberrecht nur konkrete Ausarbeitungen, nicht
aber Ideen oder gar Wissen schützt. Kein Urheberrecht der Welt kann
wissenschaftliche Plagiate (die ja nicht einfache Abschriften sein
müssen, sondern durchaus in eigenen Worten wiedergegebene Früchte anderer
Forscher sein können) oder gefälschte Resultate verhindern.
Das Urheberrecht eignet sich primär dazu, um dem Urheber die Möglichkeit
zur künstlichen Verknappung seiner Erzeugnisse in die Hand zu geben. Zu
anderen Zwecken ist es nur bedingt (Anerkennung der Urheberschaft) bis
gar nicht (Verhinderung von Fälschungen) geeignet.
--
Gruß, Ingo